Dr. Manfred Klett, 28.1.2012, Ringvorlesung an der Boku Wien
Um die soziale Gestaltung eines bio-dynamisch wirtschaftenden Hofes darzustellen, will ich versuchen die Entwicklungsschritte, die sich am Dottenfelderhof im Laufe der Zeit ergeben haben, zu beschreiben:
Es gibt eine Regel: man sollte im Sozialen nicht theoretisieren, sondern charakterisieren, was sich tatsächlich entwickelt. So lernt man an den Symptomen und kann daraus eine Bildgestalt entwickeln.
Nach dem 2. Weltkrieg mussten im Zuge der sogenannten Bodenreform alle deutschen Landwirte Flächen für die 10 Millionen Flüchtlinge aus Osteuropa abgeben. Der Dottenfelderhof – vor dem Krieg bio-dynamisch bewirtschaftet – fiel zur Gänze in dieses Programm und sollte in viele kleine Landwirtschaftseinheiten aufgeteilt werden. Es schien wie der Endpunkt einer evolutionären Entwicklung, die seit dem 9. Jahrhundert an diesem Ort stattgefunden hat. Denn nach dem Krieg begann, vor allem in der Nähe der Großstädte, die Bodenspekulation.
Ich hatte als Lehrling auf diesem Betrieb ein Naheverhältnis zu diesem Stück Erde aufgebaut und bemühte mich zusammen mit meinem Lehrherrn um den Erhalt dieser Hofeinheit, wir kämpften um diesen Hof gegen die Siedlungsgemeinschaft als Eigentümerin letztlich nur mehr auf ministerieller Ebene und hatten nichts einzubringen als unsere Ideale. Wir schilderten möglichst authentisch, was wir wollen.
Das scheint mir für die heutige Zeit symptomatisch: man muss kämpfen, es geht nichts von selbst, man hat mit ungeheuren Widerständen zu rechnen. Wenn es um Grund und Boden geht, kommt die ganze Vergangenheit hoch.
Die erste vollkommen pragmatische Frage, die sich uns stellte, war, wie viele Menschen sind notwendig um die 160 ha des Hofes bio-dynamisch zu bewirtschaften. Das war keine soziale Frage, sondern eine völlig praktische.
Wir erkannten sehr schnell, dass wir das nicht alleine bewerkstelligen können, auch nicht mehr mit Lohnarbeitskräften im alten Stil, – das wäre ein Rückschritt gewesen – sondern Gleichgesinnte brauchen.
Im Jahre 1968 gründeten fünf Familien eine Betriebsgemeinschaft nur deshalb, damit da motivierte Menschen sind, um bio-dynamisch zu wirtschaften, nicht weil sie eine Neigung hatten, soziale Fragen zu lösen.
Dann war die Frage der Organisation zu lösen: Ist einer der Chef und alle anderen die Befehlsempfänger? Wir entschlossen uns, zu versuchen, das modernste Prinzip, dass es heute im sozialen Leben gibt, zu verwirklichen: das arbeitsteilige Prinzip der Industrie, wo keiner mehr für sich arbeitet, sondern jeder jeweils nur mehr für den anderen.
Industrielle Arbeitsteilung oder Organismusprinzip?
Nun steht das dem Organismusprinzip der Landwirtschaft konträr gegenüber und deshalb beschlossen wir, die einzelnen Glieder dieses Hofes zu Verantwortungsbereichen der mitarbeitenden Familien zu machen; wir haben eine innerbetriebliche Arbeitsteilung vorgenommen. Nun hat jeder von uns die Neigung, seine eigene Tüchtigkeit zu zeigen und damit sein eigenes Königreich aufzubauen. Die große Gefahr, die dabei besteht, ist, dass der Gärtner nur mehr seinen Bereich sieht, der Viehhalter nur mehr seinen usw. und der arbeitsteilige Prozess so weit getrieben wird, dass der Organismus auseinander fällt. Wir haben alles daran gesetzt, dass der Einzelne immer das Ganze im Blickfeld behält und sich im Dienste des Ganzen versteht. Das einzige Mittel, um das zu erreichen, ist, dass man sich mindestens einmal die Woche gegenseitig versichert, warum man eigentlich zusammenarbeitet. Es ist dies eine konsensuale Arbeit an einer gemeinsamen Bildgestalt des Hofes.
Uns war sehr schnell klar, dass der einmalige Entschluss, etwas gemeinsam zu machen nicht ausreicht; das verpufft sehr schnell bei den tagtäglichen Schwierigkeiten der Arbeit. Dieser Entschluss muss eigentlich täglich neu von jedem Einzelnen errungen werde und dazu muss man sich schulen. Da wurde mir deutlich, dass ein solches Unternehmen nichts anderes ist, als der menschliche Schulungsweg. Deshalb haben wir gleich anfangs vereinbart, dass neben den reinen Arbeitsgesprächen, wöchentlich an einem Abend an anthroposophischen Themen gearbeitet wird. Man braucht eine andere Begegnungsebene als jene, die bei der praktischen Arbeit entsteht. Ich habe in den 20 Jahren, in denen ich als Landwirt am Hof war, erlebt, dass die Arbeit am Anthroposophischen das eigentliche geistige Rückgrat der Betriebsgemeinschaft war. Die biologisch-dynamische Arbeit als gemeinsame Zielrichtung verlangt, dass ich mich ständig neu ins Bild setze, damit ich im Bilde bleibe. Aus diesem Bilde heraus kann jeder Einzelne sich immer wieder neu impulsieren.
Diese forschende Gesinnung ist die Grundvoraussetzung für die bio-dynamische Arbeit. Es ist als ein Glück anzusehen, dass man alles, was man an Theoretischem gelernt hat, wieder vergisst, um es an der Lebenswirklichkeit wiederum neu zu erlernen, zu erforschen. Zu erleben, wie man scheitert, weil man in vielem noch nicht mit einer gefestigten Erkenntnis drinsteht.
Freundschaft oder Geistverbundenheit?
Die Betriebsgemeinschaft funktionierte sehr gut, dabei waren wir nicht miteinander befreundet; das einzige, was uns verbunden hat, war der Impuls der bio-dynamischen Landwirtschaft und die forschende Haltung. Daraus entstand eine Geistverbundenheit, nicht eine emotionale Bindung. Es entstand am Hof ein Geistesleben neuer Art, das keiner von uns erwartet hatte. Bei der täglichen Arbeit, da streitet man sich gewöhnlich, jeder hat eine andere Auffassung, wie etwas zu tun ist. Aber dieser Konsens im Geistigen, der hielt alles zusammen.
Wir hatten viele Lehrlinge am Hof und andere bio-dynamische Höfe ebenso. Wir konnten ihnen aber nur die praktischen Arbeitsanleitungen und keine theoretische Ausbildung anbieten. So entschlossen wir uns, eine Landbauschule für bio-dynamischen Landbau am Hof zu errichten, damit die jungen Menschen während ihrer Lehrzeit einen Gesamtüberblick über die Grundsätze des Bio-dynamischen bekommen und danach selber entscheiden können, wie sie sich orientieren. Nie hatten wir daran gedacht, eine Landbauschule zu errichten, es ergab sich aus der praktischen Notwendigkeit und begann äußerst einfach bei uns im Wohnzimmer.
Ich habe bereits gesagt, dass diese forschende Geisteshaltung den Menschen weiterbringt, gleichzeitig haben wir aber trotz dieses Forscherdrangs bemerkt, dass wir experimentelle, praktische Arbeit neben der umfangreichen Bewirtschaftungsarbeit nicht machen können. Da kam plötzlich ein Forscher auf den Hof, der ein Forschungsinstitut aufbaute, das sich nicht nur mit Präparateuntersuchungen befasste, sondern professionell mit Pflanzenzucht. Es entstanden staatlich offiziell anerkannte Getreide- und Gemüsesorten.
Das alles ist so aus dem bio-dynamischen Bewirtschaften des Hofes entstanden, hat sich von selber ergeben, wurde von uns nie geplant.
Sodann kamen vermehrt Menschen zu uns um zu sehen, was wir da machen würden. Aus diesem Interesse des Umfeldes entstand ein Sympathiekreis, ein Freundeskreis, der einen sozialen Mantel um den Hof breitete.
Ein Hof formt sich an sozialen Prozessen
Sieht man sich dieses Hofgeschehen im Großen an, bemerkt man, dass zunächst die Kräfte der Bewirtschafter auf die Gestaltung des Hofes einwirken – also ein Kräftefluss von außen nach innen. Die Folge ist, dass etwas auszustrahlen beginnt, Kräfte gehen von innen nach außen und motivieren Menschen, sich mit dem, was da am Hof vor sich geht, zu verbinden. So bildet sich ein Hof in diesem ständigen Kräftewechsel, diesen Impulsen von innen und von außen.
Wir formulierten am Beginn unserer Bewirtschaftung, dass wir neue Formen der Eigentumsfrage von Grund und Boden schaffen wollten; weg vom Privateigentum im Sinne der Erbfolge, hin zu einem System der Unveräußerlichkeit von Boden. Boden kann ja gar keinen Preis haben, er ist ein unvermehrbares Gut, er kann nicht gehandelt werden am Markt, weil er keine Ware ist. Es sind ja nur Rechte, Benutzungsrechte, die man an Grund und Boden erwerben kann. Es ist eine unglaubliche Verführung des wirtschaftlichen Zusammenlebens, Boden zur Ware machen zu können, ja zum Finanzspekulationsobjekt.
Es geht um die Frage, wie jemand, der sich berufen fühlt, Boden als Landwirt zu bewirtschaften, in völliger Freiheit und im Sinne des bio-dynamischen Landbaus, das tun kann, ohne dass Geld hin und her geschoben wird, ohne dass Anrechte von einer Generation zur nächsten verlagert werden.
Mit diesen Ideen gingen wir zu den staatlichen Stellen, die über das weitere Schicksal dieses Bodens des Dottenfelderhofes letztlich zu entscheiden hatten und wurden vorerst einmal als Bolschewiken abgetan. Und so haben wir gegenüber den staatlichen Stellen blauäugig, in mühevollen Verhandlungen und manchmal endlosen Gesprächen immer wieder – über 12 Jahre hindurch – nur unsere grundsätzliche Position der angeführten Ideen über Grund und Boden dargelegt. Der Durchbruch kam, als wir vom Staatssekretär aufgefordert wurden, eine Denkschrift – welch passendes Wort: geschriebene Gedanken – zu verfassen. Als der Antrag, das Kernland des Dottenfelderhofes mit 20 ha Land an unsere Betriebsgemeinschaft zu verkaufen, im Länderparlament zur Abstimmung kam, stimmten alle Fraktionen für unseren Vorschlag. Das war das erste Mal in meinem Leben, wo ich gemerkt habe, dass eine Idee, der man wirklich treu bleibt, über selbst unüberwindbar erscheinende Widerstände siegen kann.
Wir kauften also das Kernland des Dottenfelderhofes ohne das Geld dafür zu haben, denn von uns hatte niemand irgendwelches Kapital. Wir bekamen dafür einen Kredit, einzig und allein auf der Basis des Vertrauensvorschusses der Bank auf eine zu gestaltende soziale Zukunft innerhalb der Landwirtschaft. Nach 10 Jahren wurde dieser Kredit sogar in eine Schenkung umgewandelt, da wir anschaulich demonstrieren konnten, dass wir eine Leistung erbrachten, die, sozial gesehen, einer Rückzahlung gleichkam.
Darauf haben wir die Landwirtschaftsgemeinschaft am Hof gegründet. Gestützt auf die Angaben Rudolf Steiners aus den Arbeitervorträgen 1919, dass jeder Mensch ein Anrecht auf ein Stück Boden hat. Dividiert man die landwirtschaftliche Nutzfläche Deutschland durch die Einwohnerzahl, kommt man auf 2500 m² pro Person. Umgelegt auf den 150 ha großen Dottenfelderhof ergibt das 600 Einheiten. Es hätten also 600 Menschen ein Naturrecht auf diese Fläche, da der Großteil nicht am Hof leben konnte, übernahmen diese Menschen nur Mitverantwortung.
Die Rechtsgrundlage…
Diese gegründete Landwirtschaftsgemeinschaft bildet eine Rechtsgemeinschaft mit der Aufgabe, mit Sorge zu tragen, dass eine Generation die Bewirtschaftung übernimmt. Diese Rechtsgemeinschaft übernimmt jetzt auch alle Kapitalverwaltung, denn wir fünf Familien hatten unser aller Geld in die Betriebsgemeinschaft eingebracht, ohne irgendwelche Sicherheiten hineingeschenkt. Seit damals bilden die Verantwortlichen am Hof, welche die Betriebsgemeinschaft bilden, kein Kapital mehr. Das ist der Versuch, sich wirklich frei der Aufgabe der bio-dynamischen Bewirtschaftung widmen zu können. Wir vertrauen sowohl unserer Idee, die uns tragen würde als auch den Menschen rundum.
…und die praktische, freie Arbeit
Als wir unseren Kuhstall erneuern mussten, wussten wir nicht, woher wir das Geld nehmen sollten. Da kam plötzlich ein Mann auf den Hof, meinte, er hätte gehört, wir würden einen neuen Kuhstall brauchen: Er ließ sich alles erklären und bot uns daraufhin 500 000 DM an; in den 80-iger Jahren ein unvorstellbar hoher Betrag. Zu guter Letzt zahlte er den gesamten Stall für 80 Kühe.
Die Frage des Einkommens lösen wir über die Bedürfnisse der einzelnen Familien. An der Einkommensfrage, wenn sie offen dargelegt wird, dürfte keine Gemeinschaft scheitern. Im Konsens werden auch die Wohnungsrechte usw. gelöst. Zu Beginn unseres Wirtschaftens verkauften wir alle Erzeugnisse an den örtlichen Fleischhauer, den Gemüsehändler usw., da war eine regionale Gewerbewirtschaft noch vorhanden. Das löste sich in den 70-er Jahren auf und plötzlich standen wir mit unseren Waren ohne regionale Abnehmer da.
Dadurch wurden wir gezwungen einen Hofladen zu errichten. Inzwischen verarbeiten wir in der hofeigenen Bäckerei und der Konditorei jährlich rund 100t Getreide vom Hof.
Der nächste Schritt war, dass wir unsere Milch zu verarbeiten begonnen haben und heute eine Käserei betreiben, die alle Milch veredelt.
Auf diese Weise entstand ein vom Hof allmählich ausstrahlendes Wirtschaftsleben mit einem regionalen Markt.
Vergleicht man das Alles mit dem, was im 15. Jahrhundert keimgelegt wurde an freien Dorfgemeinschaften mit freiem Geistesleben, autonomen Rechtsleben und assoziativen Wirtschaftsformen so sieht man, dass der bio-dynamische Landbau förmlich dazu berufen ist, heute, im 21. Jahrhundert die Dreigliederung von den Höfen aus in den Umkreis zu tragen. Voraussetzung ist der geistige Impuls, der dem Ganzen zugrunde liegt. Wenn sich der verwirklicht, dann geht es wie von selbst.
Jeder Hof ist anders, aber der Tendenz, die von einer bio-dynamischen Bewirtschaftung ausgeht, kann man vertrauen. Dazu braucht es Menschen, die sich die Grundsätze des bio-dynamischen Landbaus selber zu Eigen machen; die ihr Verständnis der geistigen Lebensgrundlagen beständig erweitern. Glauben Sie ja nicht, dass das einfach ist; die heute zu überwindenden Widerstände sind enorm. Man muss bereit sein, sich ins Risiko zu stellen, dann kommt einem Hilfe zu. Ab dem Moment, wo Menschen so arbeiten, entsteht eine Kraft. Erst wenn diese kulturtragende Kraft einer Hofgemeinschaft wieder spürbar wird, zieht die Landwirtschaft die Menschen an. Das kann die Landwirtschaft aus ihrer Isolierung befreien. Wir sind aufgerufen, sie da herausführen.
Es geht in der jetzigen Zeit darum, Vorbilder zu schaffen. Das mag zunächst wenig bewirken, aber dann zeigen sich unvermutet an verschiedensten anderen Stellen Reaktionen und Auswirkungen. Darauf kann man vertrauen.
Im folgenden werden von Dr. Klett einige Zuhörerfragen beantwortet.
Frage: Sie haben am Beginn ihrer Ausführungen gemeint, die Bezeichnung „biologisch-dynamisch“ wäre irreführend, man müsste richtigerweise den Ausdruck „anthroposophisch orientierte Landwirtschaft“ verwenden. Können Sie das näher ausführen?
Antwort: Die Wortkombination „biologisch-dynamisch“ wurde 1929 von Stegemann und Bartsch gewählt, dass auch jene Landwirte, die nicht in das anthroposophische Kleid schlüpfen wollten – es waren ja zu Beginn der 30-iger Jahre bereits über 1000 Betriebe – biologisch-dynamisch wirtschaften können. Da sollte jeder frei sein. Man wählte „biologisch“, weil man mit der Natur arbeitet, „dynamisch“, weil man mit den Präparaten arbeitet.
Das trifft den Sachverhalt aber nicht, wenn man die anfangs genannten Kernsätze ins Auge fasst, dass nämlich der Mensch als Ausgangspunkt für alle Maßnahmen im Mittelpunkt steht.
Eigentlich müsste man einen Namen suchen, der dem wirklich gerecht wird; anderseits haben sich die Bezeichnungen „biologisch-dynamisch“ und „Demeter“ in der heutigen Wirtschaftswelt als Benennung einer bestimmten Qualität eingebürgert. Aber es ist zu hinterfragen, ob diese Bezeichnungen wirklich das charakterisieren, um das es wirklich geht. Auch bei einer möglichen künftigen Namensgebung sollten wir versuchen, klar zum Ausdruck zu bringen, dass in Bezug auf eine zukünftige Landwirtschaft das Menschenbild der Ausgangspunkt aller Gestaltung ist.
Frage: Wie ist das geregelt in der Betriebsgemeinschaft, wenn einer aus dem produktiven Prozess ausscheidet, sowie die Altersversorgung?
Antwort: Wir hatten glücklicherweise den Fall, dass einer ausgestiegen ist. Es bestand vertragsmäßig die Regelung, dass jemand, der aussteigt, keinen Anspruch auf Rückzahlungen hat. Das muss man wirklich so machen, aber die Gemeinschaft fühlte sich auch verantwortlich, ihn bei einem Neuanfang zu unterstützen. Es ist ein Grundproblem unserer Zeit, dass wir die Neigung haben, ein Recht zu pflegen, das vorschreibt, was übermorgen zu geschehen hat, wenn dieser oder jener Fall eintritt. Das ist römisches Recht und macht alles kaputt.
Man muss darauf schauen, dass man ein gelebtes Recht kriegt. Derjenige, der aus unserem Hof ausgeschieden ist, lebt heute in bestem Einvernehmen mit uns, da wir haben aus freiem Willen heraus für seinen neuen Anfang gesorgt haben. Diese Verpflichtung hat man – von Mensch zu Mensch – nach Lösungen zu suchen, die der Lage dieses betreffenden Menschen angemessen ist. In diesem Sinne kann man heute Gemeinschaften bilden, die diese Vertrauenssubstanz in sich selbst ausbilden, dass man das Risiko eingeht, im richtigen Moment das Richtige zu tun.
Frage: Ist das Modell der freien Dorfgemeinschaft Rudolf Steiners Vorbild für die soziale Dreigliederung gewesen?
Antwort: Es war mein Versuch aufzuzeigen, dass man alle Entwicklungen in ihren Keimen in der Vergangenheit aufsuchen muss. Man sieht, was aus den freien Dorfgemeinschaften geworden ist, wie die Zeit damals doch nicht reif dafür war. Man sieht, dass die Jahrhunderte herauf die Bodeneigentumsfrage nicht geklärt werden konnte, die drängenden Fragen des Sozial- und Geisteslebens ungelöst blieben.
Frage: Gibt es eine zahlenmäßig sinnvolle Größe einer Gemeinschaft?
Antwort: Da wage ich keine Festlegung. Im Geistesleben sehe ich diese Grenze nicht, auch nicht in Bezug auf das Rechtsleben, aber in Bezug auf das Wirtschaftliche und Praktische gibt´s Grenzen: die Entfernungen, die zwischenmenschlichen Beziehungen, auf denen ja die wirtschaftlichen oft fußen. Uns allen sind momentan durch die Fähigkeiten unserer Bewusstseinsseelen Grenzen gesetzt; trotzdem sind Mut und Treue zur Idee angebracht.
Frage: Gibt es eine private Krankenversicherung, wie sieht es mit Steuern aus, inwieweit ist der Staat noch eingebunden in ihrer Betriebsgemeinschaft?
Antwort: Man kann sich in vielen Bereichen nicht befreien. Wir handhabten es so, dass alles, was erwirtschaftet wird, auf all jene verteilt wird, die am Produktionsprozess beteiligt sind. Das Finanzamt sieht jedoch nur uns – die fünf Familien – als Unternehmer an und wir mussten Steuern nachzahlen. Das ist bis zum heutigen Tag noch ungelöst. Wir haben nun eine KG als Rechtsform und jeder Mitarbeiter muss seinen Teil der Betriebsausschüttung bei der Finanz angeben. Wir versuchen keinerlei Kapital zu bilden, aber das will der Fiskus natürlich nicht akzeptieren. Von Seite dieser gibt es kein Verständnis, dass Kapital neutral ist, dass wir der Auffassung sind, mit Grund und Boden zu arbeiten, das man nicht in Geld bewerten darf.
Frage: Wie steht der Dottenfelderhof wirtschaftlich da? Wer trifft die unternehmerischen Entscheidungen am Hof?
Antwort: Die Entscheidungen, die den Hof betreffen, werden von den fünf Familien getroffen; kollegial, auf völlig horizontaler Ebene und grundsätzlich einmütig. Der Staat hat uns gezwungen unter uns einen Vertrag abzuschließen. Diese Urkunde wurde von uns allen unterschrieben, verschwand in der Schublade und wurde nie mehr gebraucht. In diesem Vertrag ist festgelegt, dass wir demokratisch, also nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden müssten. Das haben wir strikt abgelehnt, sondern sind nur nach dem einmütigen Prinzip vorgegangen. Das war oft sehr mühsam, wir haben lange miteinander gerungen, die einzelnen Einwände angehört, ernstgenommen; aber das hat uns sehr geholfen, Fehler zu vermeiden.
Frage: Wieviele Familien bewirtschaften heute den Hof?
Antwort: Verantwortlich sind sechs, aber wir haben jetzt sehr viele Lohnarbeitskräfte am Hof und man erklärt mir, dass wäre anders nicht zu machen. Wenn ich jünger und noch ganz eingebunden wäre, würde ich das niemals hinnehmen, sondern versuchen, alle Beschäftigten in die Entscheidungsprozesse so mit einzubinden, dass sie selbst verantworten müssen, solidarisch verantworten müssen, was am Hof geschieht.
Es gibt keine fixen Rezepte, wonach das abzuhandeln wäre, sondern das ändert sich ständig, es ist immer in Bewegung, das ist ein künstlerischer Prozess im Rechtlichen. Ich warne davor, irgendetwas definitorisch zu nehmen, da das nur Konfliktstoff bildet. Es ist die sehr hohe Tugend der Geduld, die in einer Gemeinschaft besonders geschult werden muss. Es muss alles so behandelt werden, dass es heranreifen kann.
Frage: Wie findet man solche Menschen, die auch schwere Zeiten durchzustehen gewillt sind?
Antwort: Wenn jemand unverbrüchlich die Grundsätze der bio-dynamische Landwirtschaft als sein Lebensziel ansieht, dann ist eigentlich das gesamte Potenzial da, das man braucht. Dadurch ist es schwierig, Menschen für eine Gemeinschaftsbildung zu finden.
Das hängt meines Erachtens damit zusammen, dass die Gesetze und Regeln des Sozialen heute so unverrückbar, so überreguliert geworden sind. Das beengt den Einzelnen und auch die Gemeinschaft in einer Weise, dass niemand mehr bereit ist, sich unvoreingenommen in solche Verhältnisse hinein zu stellen. Wie soll da Beweglichkeit in der Gestaltung einer Gemeinschaft entstehen. Sich machtlos erlebende Menschen machen sich keine Gedanken über soziale Fragen.
In einer Gemeinschaft zu leben, ist, so paradox es klingt, Einsamkeit auszuhalten. In der Gemeinschaft erlebt jeder Enttäuschungen, weil er sich die Dinge anders ausgemalt hat – und das treibt in die Einsamkeit. Es muss offen ausgesprochen werden, dass die Einsamkeit in den Gemeinschaften heute viel, viel größer ist als allgemein angenommen.
Frage: Wie haben Sie die Menschen ausgewählt für die Gemeinschaft, aus dem Kopf oder nach dem Bauch?
Antwort: Weder noch, dazwischen liegt das Herz. Man hat natürlich vorerst die Ausrichtung nach dem Kopf, insofern man sich entschließt nach der bio-dynamischen Wirtschaftsweise zu arbeiten, aber man muss die Geduld haben, aus den Kopfgedanken Herzgedanken entstehen zu lassen. Wenn daraus Handgedanken werden, dann geht´s in die richtige Richtung. Wir haben einander schon vorher gekannt, weil wir an verschiedenen wissenschaftlichen Projekten zusammengearbeitet haben. Es war jedoch nicht die Freundschaft das Gemeinschaftsbildende, ganz sicher nicht. Wenn Freundschaft entsteht und hält, dann ist das eine Gnade. Aber das eigentlich Verbindende ist, was jeder Einzelne will und wenn die verschiedenen Motive sich mehr oder weniger ergänzen. Echte Motivation ist der Ausdruck einer starken Bewusstseinsseele. Rudolf Steiner erwähnt oftmals, dass wir noch nicht wissen, dass wir im Bewusstseins-Zeitalter leben; manchmal glauben wir noch, im Zeitalter der Verstandes- oder Gemütsseele zu leben. Die Bewusstseinsseele verlangt vom Menschen, sich ins totale Risiko zu stellen. Der größte Feind bei diesem Unterfangen ist der Bürger, der satte, auf seine Rechte pochende Bürger.
Das ist alles leicht gesagt, aber es muss erst gelebt werden. Das Schöne am Bio-dynamischen ist, dass man die hohen Ideale, die da angesprochen werden, unternehmerisch, schöpferisch leben kann, sowohl im Geistigen, wie im Sozialen oder Wirtschaftlichen. Sie können Unternehmer werden im Geistigen, das ist ja die eigentliche Heimat des Unternehmertums um daraus dann rechtliche Formen für die Praxis des Sozialen zu entwickeln. Ich kann Ihnen keine Nische in unserem zivilisatorischen Lebens nennen, wo man das sonst noch verwirklichen könnte.
Frage: Kann es Vorstufen geben zu solchen Gemeinschaften, dass also Menschen zusammenleben und -arbeiten, ohne dass gleich alle Besitzverhältnisse geändert werden?
Antwort: Vorerst würde ich nichts übereilen. Warum soll man mit der Grundeigentumsfrage anfangen, warum mit der Kapitalfrage – arbeiten Sie zuerst biologisch-dynamisch. Dann können all die angesprochenen Themen zu Fragen werden – man kann ja niemanden zu seinem Glück zwingen. Aus der tagtäglichen Arbeit müssen diese Fragen kommen, dann kann man sie charakterisierend behandeln, nicht theoretisierend.